16.07.2019 – Wachgerüttelt durch das OLG Karlsruhe 1. Senat für Bußgeldsachen – 1 Rb 10 Ss 291/19
Einsicht ist dem Betroffenen in alle beantragten Unterlagen von Geschwindigkeits- und anderen Messungen zu gewähren!
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019 – Aktenzeichen 1 Rb 10 Ss 291/19
Aus dem Gebot des fairen Verfahrens folgt das Recht des Betroffenen, dass bereits die Verwaltungsbehörde insbesondere seinem Verteidiger nicht bei den Akten befindliche amtliche Messunterlagen zur Verfügung stellt, die erforderlich sind, um „Parität des Wissens“ herzustellen und die es dem Betroffenen ermöglichen, die Berechtigung des auf das Ergebnis eines (standardisierten) Messverfahrens gestützten Tatvorwurfs mit Hilfe seines privaten Sachverständigen zu überprüfen.
Zentrale Aussagen der Entscheidung:
Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe hat nun letztinstanzlich wie folgt in unserem Sinne entschieden:
Vorliegend wurde die Verteidigung rechtfehlerhaft beschränkt, da der Betroffene ein Recht auf Einsicht in die nicht bei den Akten befindlichen amtlichen Messunterlagen hat, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt.
Bezogen auf das Bußgeldverfahren wird seitens des Gerichts die Ansicht vertreten, dass ein Betroffener danach, insbesondere auch wegen der zu garantierenden „Parität des Wissens“ bzw. der „Waffengleichheit“, gegenüber der Verwaltungsbehörde verlangen kann, dass er Einsicht in die nicht bei den Akten befindlichen (existierenden weiteren) amtlichen, zur Überprüfung der Messung erforderlichen Messunterlagen nehmen kann, um diese mit Hilfe eines privaten Sachverständigen auswerten und auf mögliche Messfehler hin überprüfen zu können, ohne dass bereits konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen oder vom Betroffenen vorgetragen worden sind.
Ferner wird vom OLG Karlsruhe festgestellt, dass es keinen Erfahrungssatz gibt, dass ein standardisiertes Messverfahren stets zuverlässige Ergebnisse liefert. Insbesondere besteht kein Erfahrungssatz, dass die gebräuchlichen Geschwindigkeitsmessgeräte unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefern und der Hinweis, dass die Gerichte vor möglichen Gerätemängeln, Bedienungsfehlern und systemimmanenten Messungenauigkeiten – auch bei Messergebnissen, die mit anerkannten Geräten in einem weithin standardisierten und tagtäglich praktizierten Verfahren gewonnen wurden – nicht die Augen verschließen dürfen.
Hingegen hat eben gerade auch das Oberlandesgericht Karlsruhe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es Ausfluss des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) ist, dass dem Betroffenen auf seinen Antrag hin auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Unterlagen, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt, zur Verfügung zu stellen sind.
Die Sicherung des in allen Abschnitten des Bußgeldverfahrens zu beachtenden Fairness- gebots obliegt nicht nur bzw. erst Staatsanwaltschaft und Gericht, sondern zunächst der Bußgeldbehörde, die gehalten ist, dem Betroffenen (bzw. dem Verteidiger oder einem von diesem beauftragten Sachverständigen) die zur Überprüfung des Messergebnisses notwendigen Unterlagen frühzeitig zur Verfügung zu stellen.
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Jürgen Fritschi
Rechtsanwalt &
Fachanwalt für Verkehrsrecht